Von Angelika Stück
Ich bin als Fotografin ja sehr viel in alten, verlassenen (Wohn)räumen unterwegs. Weitgehend zwar in alter Industrie, aber eben auch in alten Werkswohnungen, alten Hotels, Krankenhäusern, Kurheilstätten, Altenheimen und ähnlichen Wohnräumen, die verlassen auf den Abriss harren oder im Verfall sind. Aber auch in Wohnräumen, die eine Geschichte erzählen.
Die Gefühle, die da hochkommen, sind oft sehr melancholisch. Mir kommt es oft so vor, als würden die alten Räume ihr Erlebtes aufgesaugt haben. Ich bin dort auf Spurensuche. Es bleibt natürlich meist meiner Fantasie überlassen zu spüren was mir die verlassenen Räume in ihrem Dornröschenschlaf berichten wollen, aber genau das macht für mich die Faszination aus. Wie haben die Menschen dort gelebt? Was hat sie bewegt, zu welcher Zeit? Es ist immer auch ein Teil Zeitgeschichte, die sich wiederspiegelt, Vergangenes, fast Vergessenes.
Eine Geschichte, die mich kürzlich bewegt hat, möchte ich hier kurz berichten: Auf meiner Homepage habe ich Fotos hochgeladen von den ehemaligen Allerthalwerken in Grasleben. Ich bekam neulich eine Mail von einer Dame, die dort ihre Kindheit auf dem Werksgelände verbrachte, da ihr Vater dort lange Zeit Direktor war. Sie war hocherfreut über die Fotos, wenn sie auch den Verfall und den heutigen Abriss der Gebäude bedauert. Sie freute sich ein Stück Kindheitserinnerung in den Bildern zu sehen und zu haben. Ich freute mich, einen Zeitzeugen zu finden. Ich fand es zudem auch interessant, dass selbst ein altes Werksgelände, wo man ja keine Wohnlichkeit vorfindet, eine Heimat sein kann bzw. konnte, an der man hängt.
Wohnraum ist für mich persönlich ganz viel Heimatgefühl. Meine Wohnung ist für mich mein persönlicher „Schutzraum“, dort bin ich privat und ich selbst. Ich kann entscheiden, wer diesen Raum betreten darf und wer nicht. Es ist mein ganz persönlicher Rückzugsort zur inneren Erholung, einfach lebensnotwendig für mich. Ich denke, dass es vielen Menschen so geht, und von daher ist ein Eindringen in verlassene Gebäude auch irgendwie für mich wie das Eindringen in eine Privatsphäre. Verlassene Räume haben Niemanden mehr, der den Zutritt verweigern kann. Der Schutzraum ist offen. Es hat fast etwas Heiliges, dort in den verlassenen Räumen umherzugehen, und ich tue dies stets mit viel Respekt und in Stille, um die Geschichten spüren zu können.
Jedes vandalisierte Gebäude bedauere ich, ich kann das sinnlose Zerstören nicht nachvollziehen, da damit auch die Geschichten unwiederbringlich zerstört werden. Und doch scheint es so, dass sich manche Menschen geradezu aufgefordert fühlen, verlassene (Wohn)räume zerstören zu müssen. Nichtsdestotrotz ist mir natürlich klar, dass nicht jedes verlassene Gebäude auf ewig erhalten werden kann, aber ich kann zumindest versuchen, die Geschichten, wie ich sie wahrnehme, fotografisch festzuhalten, damit sie nicht verloren gehen. Die Resonanz, wie ich sie oben beschrieben habe, gibt mir Recht.
[ Angelika Stück ]