Suche: neue WG-Mitbewohnerin für lustige Zeiten.
Auszüge aus einem WG-Casting im Westen Braunschweigs
Von Jennifer Druch
Es ist Ende September. Die Anzeige für ein 14 qm großes WG-Zimmer in einer 63 qm großen Altbauwohnung im westlichen Ringgebiet befindet sich noch nicht einmal 24 Stunden im Internet auf der Webseite wg-gesucht.de. Da der Wohnungsmarkt in Braunschweig sowieso schon angespannt ist und zum Semesterstart insbesondere angehende Studenten noch eine Unterkunft suchen, können wir uns vor Anfragen kaum retten.
Nach etwa 100 Interessenten haben wir die Anzeige wieder gelöscht. Schließlich ist es so schon schwer genug, anhand einer einzigen Mail - ein mehr oder weniger aussagekräftiger Text – Personen aus diesem Anfragemeer herauszufischen, mit denen man später einmal eventuell zusammenleben kann. Doch alle 100 einladen und vorstellen lassen? Logistisch und zeitlich eine echte Herausforderung.
Also sortieren wir aus. 22 Personen sind übrig geblieben und haben sich durch Aussagen wie: „Ich koche nicht besonders, aber meine Lasagne schmeckt ganz gut“, „Wenn ihr eine Wundertüte in der Wohnung findet, dann ist die wohl von mir. Ich hab nämlich das Kind in mir bewahrt“ oder „Ich liebe es, meine Zeit auf Konzerten und Festivals zu verbringen und nebenbei trinke ich auch ganz gerne noch ein Bier“ in unser Gedächtnis gebrannt und haben für den einen oder anderen Lacher gesorgt. Aber selbst 22 Personen einzuladen, ist immer noch nicht sonderlich einfach, da man nach der 10. Person nicht mehr weiß, wer die erste denn noch einmal war und was diese dann auch noch so gesagt hat. Letzten Endes haben wir dann auch 10 angehende Studentinnen unterschiedlichster Fachrichtungen zu uns eingeladen, von denen 8 auch kamen.
Das erste Mädel kam abends mehr oder minder zwischen Tür und Angel vorbei, weil sie ihren Zug nach Weimar bekommen musste. Sie war recht sympathisch, aber viele Infos zu ihrer Persönlichkeit sind uns im Nachhinein nicht in Erinnerung geblieben. Zu groß war die Nervosität vor dem ersten Casting und zu kurz die verfügbare Zeit.
Über die zweite Bewerberin konnten wir schon einiges mehr sagen, allerdings war das Gespräch nur nett und es gab zwei Gesprächspausen, von denen keiner so recht wusste, wie man sie füllen sollte. Und da sie ja „nur“ aus Hildesheim anreiste, fanden wir, dass die Interessenten mit einer viel längeren Fahrtzeit das Zimmer mehr benötigten. Vielleicht nicht die fairste Art des Ausschließens, aber nach irgendwelchen Kriterien muss man ja bei der Entscheidung gehen.
Sehr seltsam war ein anderes Gespräch. Abgesehen von Fragen wie: „Ist es hier immer so laut“ (dazu muss man wissen, dass wir direkt am Ring wohnen und sich der Verkehr zwar beruhigt, aber nie ganz aufhört) oder „Kann man das Badezimmer auch abschließen“, lag eine seltsame Stimmung in der Luft. Als wäre da eine unsichtbare Wand, die verhindert, dass wir eine Verbindung zueinander aufnehmen können. Ich glaube, dass wir alle vier in dem Moment schon wussten, dass auch sie nicht zu den Auserwählten gehören wird.
Ein weiteres Mädel war mir ganz sympathisch, brachte meine andere Mitbewohnerin mit ihrem stark ausgeprägten Redefluss aber zur Verzweiflung.
Haben wir eine Frage gestellt, hat sie die Antwort auf gefühlte 10 Minuten ausgedehnt, sodass das Casting eher einem Gespräch über Gott und die Welt ähnelte und demzufolge das Wesentliche aus den Augen verlor. Tiefes Einund Ausatmen ging durch die Luft, als sie sich auf dem Weg zur Bushaltestelle machte.
Und dann kam Julia. Nach einem sympathischen ersten Eindruck (ich konnte mich mit ihrem Kleidungsstil und ihrer Gürteltasche sehr gut identifizieren) ging es um Konzerthallen in Leipzig und Musikevents bzw. Festivals, die sie und ich schon einmal besucht haben. Ein sehr angeregter Austausch. Ich konnte mir in dem Moment schon einmal gut vorstellen, sie in die hamburgisch gehaltene Bar Luke 6 oder zum Bierbrauen mit den Jungs mitzunehmen. Sehr sympathisch war mir auch ihr Kommentar zu dem Stück abgeschabte Wand in ihrem Zimmer, das sie mit Spachtelmasse überarbeiten würde. Meine Mitbewohnerin unterhielt sich ebenfalls angeregt mit Jule. Sie war unsere eindeutige Favoritin bisher. Und die blieb sie auch nach allen weiteren Besucherinnen.
Sonntagabend kamen die Castings dann glücklicherweise zu einem Ende, und Jule erhielt den erlösenden Anruf, der ihre Zimmersuche beenden sollte.
Gestern hat sie ihre Sachen bereits bei uns untergestellt und sie blieb sogar auf ein Bier. Unser erstes Bild von ihr hat sich Gott sei Dank bestätigt, obwohl sie nicht ganz so gut gekocht hat, wie sie es in ihrer Anzeige anpries. Aber das soll uns an dieser Stelle nicht sonderlich stören. Nichtsdestotrotz freuen wir uns auf unsere neue Mitbewohnerin und sind auf das neue WG-Leben sehr gespannt. Jule war übrigens diejenige, die in ihrer Anzeige schrieb, dass sie gerne Bier trinkt und für Musik lebt. Die beiden Dinge haben sich zumindest schon einmal bewahrheitet.
[ Jennifer Druch ]