Hintergrundwissen für Mieter
Von Elmar Grüneich
Gutes Wohnen ist eine wichtige Voraussetzung für ein zufriedenes Leben, und knapper Wohnraum bietet dementsprechend Anlass zur Beunruhigung. Rein nach Gefühl wird wohl jeder die Aussage bestätigen, dass sich die Wohnungssuche in Braunschweig seit Jahren zunehmend schwierig gestaltet.
Aber lässt sich dieser Eindruck auch anhand von Zahlen belegen? Diese Frage steht im Mittelpunkt dieses Artikels. Ganz allgemein ist Wohnen teurer geworden. Zwischen 2010 und 2013 lag die Preissteigerungsrate, die allbekannte Inflation, in Deutschland insgesamt bei 5,7 Prozent, die Kosten für Wohnen und ihre Nebenkosten stiegen im gleichen Zeitraum dagegen um 7,5 Prozent. Nur Nahrungsmittel und Getränke wiesen mit 10,4 Prozent eine höhere Preissteigerungsrate auf. Übersetzt bedeutet das, dass heute ein größerer Teil des Einkommens fürs Wohnen (und fürs Essen) aufzubringen ist als vor vier Jahren. Die Preissteigerungsrate ist aber eine sehr allgemeine Zahl. Nicht berücksichtigt ist darin, dass der Preis fürs Wohnen sich örtlich sehr unterschiedlich entwickelt: Grob gesagt wird Wohnraum auf dem Land und in einigen weniger attraktiven Städten billiger, während in den meisten Großstädten und Ballungsräumen die Preise zulegen, denn ein wachsender Teil der Bevölkerung will in der großen Stadt und immer weniger auf dem flachen Land wohnen. Erkennbar ist dies an der sogenannten Leerstandsquote, d.h. dem Anteil des nicht vermieteten Wohnraums: Salzgitter war 2013 hierbei bundesweit Spitzenreiter mit einem Leerstand von 9,7 Prozent. In den Kreisen Goslar und Helmstedt lag die Quote bei 7,6 bzw. 7,0 Prozent. Braunschweig wies gerade mal 3,2 Prozent Leerstand auf.
Den darin erkennbaren Trend zum Stadtleben bringt auch die Braunschweiger Einwohnerentwicklung zum Ausdruck. Nachdem unsere Stadt lange Zeit mit Abwanderung zu kämpfen hatte, verzeichnete sie 2003 mit 239.000 Einwohnern den niedrigsten Einwohnerstand seit 1989. Seither hat sich der Trend umgekehrt. Ende 2013 hatte die Stadt schon wieder fast 249.000 Bewohner. Das heißt andererseits: Seit mehr als einem Jahrzehnt drängen jedes Jahr etwa 1.000 Neubraunschweiger (einer davon bin ich!) auf den Wohnungsmarkt. Entscheidend ist aber nicht die Zahl der Einwohner, sondern die der Haushalte, denn die sind es, die eine Wohnung benötigen. Und weil immer mehr Menschen alleine leben, werden die Haushalte im Schnitt immer kleiner: Für Braunschweig liegen hierzu keine besonderen Zahlen vor, aber bundesweit ist dieser Trend deutlich: 2003 lebten in Deutschland durchschnittlich 2,13 Personen in einem Haushalt, 2013 nur noch 2,02 Personen. So kommt es, dass die Zahl der Haushalte noch wachsen kann, selbst wenn die Einwohnerzahl konstant bleibt: Von 38,9 Mio. Haushalten im Jahr 2003 auf 39,9 Mio. 2013. Und damit wächst auch die Nachfrage nach Wohnungen.
Und wie sieht es jetzt auf der Angebotsseite auf? Hier lässt sich feststellen, dass in den 90er Jahren, in Folge der Wiedervereinigung, ein Bauboom den Wohnungsbestand spürbar ausweitete. Dies gilt für Deutschland im Allgemeinen ebenso wie für Braunschweig im Besonderen. In Braunschweig wurden allein in den Jahren 1994 bis 1997 im Durchschnitt jährlich mehr als 1.000 Wohnungen fertiggestellt. Das sind Zahlen von denen wir heute weit entfernt sind, denn zwischen 2010 und 2013 wurden in keinem Jahr mehr als 500 Wohnungen errichtet.
Und der aktuell fertiggestellte Wohnraum in Braunschweig ist nur zum geringen Teil zu mieten, jedenfalls zu einem weit geringeren Teil als in den 90ern. 1995 wurden 217 Wohngebäude errichtet mit zusammen 1.346 Wohnungen, d.h. ein Wohngebäude hatte im Schnitt mehr als sechs Wohnungen. 2013 waren es zwar 200 Wohnhäuser, aber nur 405 Wohnungen, d.h. gerade mal zwei Wohnungen pro Haus. Hier bauen in erster Linie private Bauherren ihr selbst genutztes Eigenheim. Von diesen Eigenheimen und den Eigentumswohnungen, die gegenwärtig an der Okerumflut oder im Östlichen Ringgebiet entstehen, hat der einfache Mieter keinen unmittelbaren Nutzen.
Insofern ist kaum überraschend, wenn der Braunschweiger Wohnungsmarkt seit einigen Jahren wieder steigende Preise signalisiert. Die Durchschnittsmiete bei Erstbezug z.B., eine wichtige Kennzahl mit entscheidender Bedeutung für die Rentabilität eines Bauprojekts, ist in Braunschweig von etwa 6,20 €/m2 im Jahr 2005 auf geschätzte 7,40 €/m2 im Jahr 2013 gestiegen. Daraus lässt sich nicht schließen, dass Bestandsmieten in gleichem Maße angezogen haben, aber es wäre blauäugig zu glauben, dass diese Preisentwicklung ohne Einfluss auf die allgemeine Richtung des Wohnungsmarkts bleibt. Dementsprechend werden sich wohl alle Mieter auf Dauer mit Mietsteigerungen über der allgemeinen Inflationsrate auseinandersetzen müssen.
Mit dieser Entwicklung steht Braunschweig nicht alleine da, denn sie hat in allen norddeutschen Großstädten nahezu zum gleichen Zeitpunkt und in vergleichbarem Umfang eingesetzt. Interessant ist, dass Braunschweig sich im Vergleich zu anderen Großstädten immer noch auf niedrigem Niveau bewegt, was die Durchschnittsmiete bei Erstbezug betrifft: In Oldenburg oder Kiel liegt sie knapp über 8 €/m2, in Hannover bei 10 €/ m2 und in Hamburg bei (wer-kann-das-noch-bezahlen?) 13 €/m2. Für Braunschweiger, die jetzt schon Mühe haben, ihre Miete aufzubringen, ist dieser Hinweis nur ein schwacher Trost. Aber er zeigt, was noch alles drin ist.
Welche Konsequenzen hat diese Entwicklung nun für Mieter, insbesondere für die weniger zahlungskräftigen Mieter in der Nachbarschaft des Mütterzentrums? Zwei Sachverhalte scheinen mir von Bedeutung:
Erstens entstehen gegenwärtig keine Wohnungen, die für schwache Einkommen oder Bezieher von Grundsicherung bezahlbar sind. Das wird sich mittelfristig zu einem echten Problem ausweiten. Insbesondere Menschen, die ALGII beziehen, werden zunehmend vor dem Problem stehen, dass das Jobcenter ihre tatsächlichen Unterkunftskosten nicht mehr übernehmen will, weil sie die aktuelle Angemessenheitsgrenze von knapp 8 €/m2 (kalte Nebenkosten eingeschlossen) überschreiten. Und an diesem Zustand wird sich so lange nichts ändern, wie die gegenwärtige Niedrigzinsphase anhält. Es ist daher dringend über neue Formen der Sozialen Wohnungsbauförderung nachzudenken.
Und damit hängt zweitens eng zusammen, dass der Wohnungsbestand an die sich ändernden Bedürfnisse der Mieter (mehr Ein-Personenhaushalte, zunehmend Bedarf an barrierefreien Wohnungen) nur in unzureichender Weise angepasst wird, d.h. Menschen mit sozial schwachem Hintergrund werden sich vermehrt mit Wohnungen begnügen müssen, die ihren Bedürfnissen nicht entsprechen.
[ Elmar Grüneich ]