von Eva Spielhaupter
Schon von weitem höre ich die Schaukel am Apfelbaum quietschen, lebhafte Kinder- “Unterhaltung“, Lore kommt vom Einkaufen, zusammen schieben wir die Fahrräder in den Keller, plauschen ein wenig und verabreden uns für morgen Abend ins Kino, im Haus duftet es lecker, ...
Ja, so könnte es werden. Noch existiert diese Szene aus dem Leben in unserem Wohnprojekt nur in meinem Kopf.
Aber wir sind auf dem Weg dahin.
Vor etwa vier Jahren haben sich einige Menschen aus dem Netzwerk zu einer Gruppe zusammen getan mit dem Ziel, gemeinsam zu wohnen.
Gemeinschaftlich zu wohnen bedeutet für mich mehr als nur Wohnen. Einerseits möchte ich anstelle von einem zu großen Familienhaus im ländlichen Umfeld von Braunschweig in der Stadt leben mit kurzen Wegen und guter Infrastruktur, z.B. gut an Öffis angebunden, und in zweiter Linie ist mir ein Aspekt besonders wichtig: ein Leben in einer lebendigen, sozial stabilen Nachbarschaft, mit Alt und Jung, verlässlich und unterstützend im Alltag, in einer Gemeinschaft, in der Solidarität gelebt, die Privatsphäre respektiert wird und der Spaß am Leben nicht zu kurz kommt.
Inzwischen sind wir als Planungsgemeinschaft elka.1 GbR gerade dabei eine Genossenschaft zu gründen. Warum organisieren wir uns als gemeinschaftliches Wohnprojekt in Form einer Genossenschaft? Wir haben uns für diese Rechtsform entschieden, weil wir überzeugt sind, dass sie unseren Zielen und Wünschen an ein solidarisches, generationenübergreifendes Zusammenleben am nächsten kommt und auch dauerhaft gelebt werden kann.
Ich muss zugestehen, früher wirkte der Begriff Genossenschaft auf mich verstaubt und antiquiert. Ich verband damit eher landwirtschaftlichen Handel und dörfliche Bankfilialen. Erst mit der Beschäftigung von Gemeinschaftlichem Wohnen begriff ich, wie gut die Genossenschaftsidee - ergänzt mit neuen Ansätzen - zu alternativen Wohnformen passt.
Unser Konzept für ein Wohnprojekt in genossenschaftlicher Struktur unterscheidet sich von altehrwürdigen Wohnbaugenossenschaften besonders dadurch, dass für uns das demokratische Prinzip der direkten Mitbestimmung, die aktive Teilnahme an Planung und Umsetzung ein wesentlicher Eckpfeiler für unser gemeinschaftliches Zusammenleben ist.
Weitere Vorteile der Genossenschaft zeigen sich im organisatorischen und sozialen Bereich, indem die Projektmitglieder ...
- sich auf Augenhöhe begegnen
- sich selbst verwalten
- sich ihre Mitbewohner/Nachbarn selbst wählen
- jede/r nur eine Stimme hat, egal, wie viele Genossenschaftsanteile sie/er übernommen hat
- selbstbestimmt Entscheidungen treffen können
- sicher wohnen, da die Wohnungen keine Spekulationsobjekte sind
- ihr Objekt solidarisch finanzieren, gemeinsam etwas aufbauen
- sich durch Selbstgestaltung verantwortlich fühlen
- von angemessenen Nutzungsgebühren profitieren
- sich gegenseitig unterstützen
- lernen offen zu kommunizieren und Konflikte auszuhalten
- ihre Bedürfnisse und Interessen einbringen und sich austauschen
- offen sind für vielfältige Lebensentwürfe
- den Dialog zwischen den Generationen fördern
- die Gemeinschaftsflächen und Gebrauchsgegenstände gemeinsam nutzen
Alle diese Merkmale beruhen letztendlich auf dem demokratischen Prinzip der Partizipation und erfordern von jedem Einzelnen ein hohes Maß an Austausch, Transparenz, Toleranz und gegenseitigem Vertrauen; gleichzeitig auch viel Engagement und die Bereitschaft, Entscheidungen zu akzeptieren, die mehrheitlich getroffen werden. Wie uns Bewohner von bereits realisierten Wohnprojekten berichten, bedeutet das Mehr an Auseinandersetzung im Ergebnis aber auch ein Mehr an Lebensqualität und es macht Mut zu hören: ES LOHNT SICH.
Die Wohngenossenschaft ist meiner Ansicht nach am besten geeignet, die Idee des Wohnprojektes nachhaltig zu sichern. Sie ist offen nach Außen, auf langfristige Perspektive ausgerichtet und im Vordergrund steht nicht der Kapitalertrag. Bei Privateigentum besteht die Gefahr, dass ein Wohnprojekt durch Auszug, Vererbung und Verkauf möglicherweise zerfällt und einzelne Wohnungen in Hände von Personen geraten, die sich nicht mit dem Konzept des gemeinschaftlichen Wohnens identifizieren können.
Da ich nicht in einem Viertel alt werden möchte, in dem man zu bestimmten Zeiten nur noch die Kleinwagen der Pflegedienste sieht, hoffe ich, dass unser Projekt eine Erfolgsgeschichte wird.
Unser Wohnprojekt stellt ein Modell dar für zukunftsorientiertes Wohnen in der heutigen Gesellschaft, in der sich Lebensentwürfe und Bevölkerungsstrukturen rasant verändern. Wir leben in einer sozial und international gemischten Gesellschaft, in der demokratische Grundwerte für ein soziales Miteinander unverzichtbar sind. „Demokratie leben“ darf nicht allein auf das Kreuzchen machen am Wahltag reduziert werden.
[ Eva Spielhaupter ]