von Rita Dippel
Man wird irgendwo geboren und erlebt im Laufe der Kindheitsjahre die erste Nachbarschaft.
In unserer Siedlung gab es dazu eine feste Struktur. Der erste Nachbar hatte die Pfl icht, an besonderen Tagen der Familie zur Seite zu stehen: An Hochzeitstagen die weitere Nachbarschaft für die Festvorbereitung zu organisieren und bei Todesfällen den Verlust eines Familienmitglieds zu verkünden, bei der Beerdigung den Sarg zu tragen und der Familie beizustehen. Man brauchte insgesamt sechs Nachbarn, damit die im Todesfall den Sarg tragen konnten.
So entstand, wenn jede Familie einen ersten Nachbar und die weiteren fünf N a c h b a r n hatte, ein ganzes Netzwerk, das sich gegensei t i g stützte. Diese Nachbarschaft wurde von den Beteiligten, die nicht verwandt sein durften, bei einer Einladung miteinander verabredet.
Mit zunehmendem Auseinanderfallen der alten Strukturen veränderten sich die Verbindlichkeiten. Als meine Eltern verstorben waren, endeten die Verträge der Nachbarschaft. Sie hätten sich dann erneuert, wenn eines meiner Geschwister ins Haus gezogen wäre.
Mit neuen Wohnorten stieß ich eher zufällig auf neue Nachbarschaften. Viele davon traten freundlich mit mir in Kontakt und wir entwickelten im Alltag mehr Vertrauen. Man half sich mit kleinen Dingen aus, weil jeder mal, wenn ein Ei oder Zwiebel nach Ladenschluss fehlte, froh war, wenn mit Hilfe des Nachbarn der Kuchen doch noch gelingen konnte.
Seit einigen Jahren gibt es eine freundschaftliche Verbindung in dem Haus, in dem ich jetzt wohne. Über die Kinder hat es sich mehr und mehr zu einer quasi Zweifamilienwohngemeinschaft entwickelt. Wir haben gegenseitig Wohnungsschlüssel, teilen Freizeit sowie Ereignisse miteinander.
Seit kurzer Zeit gibt es da noch die Computernachbarschaft, die sich nach Stadtgebieten über eine Emailadresse „nebenan.de“ gegenseitig über Veranstaltungen informiert oder verschiedene gebrauchte Dinge zum Kauf anbietet oder auch nach Dingen sucht. Ein Yogakurs in der Nähe kann so besucht werden oder man erfährt so von Festen und Aktivitäten in der Nähe.
Nachbarschaft wird ebenfalls in dem Konzept Mehrgenerationenhaus gelebt. Hier in der Hugo- Luther-Straße treffen sich die Menschen beim Essen und werden mit der Zeit so vertraut miteinander, dass sie sich gern von ihrem Alltag erzählen oder mitteilen, was sie bewegt. Anregungen, Ratschläge oder Erfahrungsaustausch werden dabei gerne gegeben.
Nachbarschaft als soziales unterstützendes System vermittelt etwas wie zuhause sein und dabei entspannt sich die Psyche. Da bin ich Mensch, da kann ich sein.
[ Rita Dippel ]