von Heidi von Pein
Nicht nur das Mütterzentrum feiert 30-jähriges Jubiläum, auch ich habe gefeiert!
Im Oktober 1987 bin ich zum ersten Mal Mutter geworden, und vor kurzem haben wir den 30. Geburtstag unseres Sohnes gefeiert.
Unserem Sohn folgten 1990 und 1993 zwei Töchter - alle Kinder von Herzen erwünscht!
30 Jahre lang war und bin ich Mutter. 30 Jahre, in denen ich Ernährerin, Dienstleisterin, Krankenschwester, Erzieherin, Seelsorgerin, Lehrerin, Ratgeberin, Krisenmanagerin, Vertraute und Coach war und bin. Alles zusammengefasst bin ich eine Kümmerin.
Ich glaube, dass viele Menschen in unserer Gesellschaft die ideale Mutter immer noch in einer Versorgerin und Kümmerin sehen. Das bringt Nutzen für die Gesellschaft, aber auch Nachteile und Einschränkungen für die Mütter. Und gibt es überhaupt die ideale Mutter?
Schon die Schwangere trägt Verantwortung für ein zweites Leben und diese Verantwortung geht einher mit Verzicht; Verzicht auf Alkohol, Zigaretten, lange Nächte, kulturelle, soziale und berufl iche Teilhabe. Was die gesundheitlichen Aspekte betrifft, ist der Verzicht meiner Meinung nach gerechtfertigt. In allen anderen Bereichen soll die werdende Mutter selbst entscheiden, was ihr gut tut. Entscheidungen sind oft nicht leicht zu treffen. Wenn ich an die Schwangerenvorsorge denke, sehe ich auch die Schattenseiten der Pränataldiagnostik. Was ist, wenn ich ein behindertes Kind austrage? Mich hat einmal ein Braunschweiger Gynäkologe während meiner dritten Schwangerschaft beim ersten Besuch in seiner Praxis – wir waren gerade nach Braunschweig gezogen – zu einer Fruchtwasseruntersuchung gedrängt, aufgrund meines Alters und dreier Fehlgeburten. Er sagte mir allen Ernstes, als werdende Mutter könne man einer Gesellschaft kein behindertes Kind zumuten.
Zum Glück war das Untersuchungsergebnis ohne Auffälligkeiten. Aber die Laborassistentin schob beim nächsten Termin noch mal nach: „Na, nun kann es ja weitergehen!“ Mit Sicherheit wäre ich mit einem behinderten Ungeborenen nicht mehr in dieser Praxis erwünscht gewesen. Ich habe mir schnell eine andere Frauenarztpraxis gesucht. Dort fühlte ich mich als werdende Mutter versorgt.
Mit meinen Ungeborenen habe ich mich immer sehr verbunden gefühlt und mich darum gekümmert, dass es ihnen gut geht, soweit es in meiner Macht stand. Aber in meiner dritten Schwangerschaft hatte ich große Sorgen und Ängste. Alle erdenklichen Werte, die im Mutterpass eingetragen werden, „spielten verrückt“. Sie waren nicht normgerecht. Ich hatte eine Riesenangst, das Kind wieder zu verlieren und ich habe lange gebraucht, um im weiteren Verlauf der Schwangerschaft eine Verbindung zum Kind herzustellen und auf seine Lebensfähigkeit zu vertrauen.
In der Stillzeit geht das Kümmern und Versorgen weiter. Frau isst nur das, was dem Kind auch bekommt, es sei denn, sie gibt die Flasche. Ich habe beim ersten Kind einmal den Fehler gemacht, meinem Heißhunger auf Sauerkraut nachzugeben.... das hat sich schnell gerächt. Als stillende Mutter spürte ich eine besondere, enge Verbindung zu meinem Kind. Wenn ich nur irgendwo ein anderes Baby weinen hörte, lief bei mir spontan die Milch. Damit war ich nicht immer „gesellschaftsfähig“, mit nasser Bluse/T-Shirt, trotz Stilleinlagen!
Aber es war praktisch, fast überall stillen zu können: schnell das hungrige Kind unter den Pullover oder die Bluse geschoben und fertig. Keine Fläschchen sterilisieren und sonstige Umständlichkeiten.
Als meine Kinder Säuglinge und Kleinkinder waren, hatte ich hypersensible Ohren und Antennen. Wie oft stand ich nachts an einem Kinderbett, wenn das Kind mich brauchte. Ich wusste fast nie, wie ich dort so schnell hingekommen war. Unsichtbare Fäden müssen mich hingezogen haben.
Mit dem größer werden der Familie und Heranwachsen der Kinder kamen weitere Herausforderungen auf mich zu. Mein Mann war, ganz traditionell, der Alleinverdiener. Ich war zuständig für alles, was während seiner Abwesenheit gemacht werden musste, wobei wir uns die „Familienarbeit“ immer geteilt haben.
Während er im Büro war, saß ich manchmal mit drei kleinen Kindern im Wartezimmer einer Arztpraxis und wünschte mir sehr, dass Mütter und Kinder „Vorfahrt“ haben vor anderen Patienten. Wer einmal mit müden, kranken Kindern diese Situation erlebt hat weiß, was ich meine. Die vielen anstrengenden Wartestunden beim HNO-Arzt werde ich nicht vergessen.
Oder wenn Mütter ärztliche Hilfe brauchen..... Ich erinnere mich gut daran, wie ich in einem Zahnarztstuhl lag, meine neugeborene Tochter auf dem Schoß, und der Zahnarzt mir eine Zahnfüllung verpasste. Wir waren neu in Braunschweig, und die älteren Kinder hatten noch keinen Kindergartenplatz bekommen. Zum Glück hatte eine nette Nachbarin die Betreuung übernommen.
Und was ist, wenn die Mutter Bettruhe einhalten muss? Entweder nimmt der Partner Urlaub oder die Verwandtschaft wird aktiviert. Und wenn beides nicht möglich ist? Ich habe damals, 1992, über meinen Arzt eine Familienhilfe bekommen, weil ich zu Beginn der letzten Schwangerschaft viel liegen sollte. Mein Mann arbeitete schon in Braunschweig, ich war mit zwei Kleinkindern wochentags allein, beide Großelternpaare hunderte Kilometer entfernt. Die verordnete Familienhilfe war nicht optimal, aber immerhin: mir schickte man einen 18-jährigen Zivi, der Haushalt und Kinderbetreuung bewältigen sollte! Dass ich nicht sonderlich zur Ruhe gekommen bin, nun ja....
In einer Familie mit drei Kindern geht es oft turbulent zu. Da helfen dann klare Ansprachen.
Nach einer solchen kam einmal völlig unerwartet für mich von meinem 12-jährigen Sohn zurück: „Jawoll, Frau Königin!“ - Das saß! Stärker als jedes Genörgele wegen einer Aufforderung, dies oder das zu tun, traf mich, dass er meinen Befehlston spiegelte. Heute kann ich darüber schmunzeln, damals war ich erschrocken.
Seine Kinder verstehen zu wollen birgt so manche Überraschung.
Als meine Älteste ihren ersten großen Liebeskummer hatte, habe ich sie bewusst nicht darauf angesprochen. Ich erinnerte mich an meinen Liebeskummer und daran, dass ich meine Ruhe vor der Familie haben wollte. Also fragte ich meine Tochter nicht nach ihrem Kummer, sondern war nur wohlwollend freundlich ihr gegenüber. Irgendwann platzte ihr der Kragen und sie fragte vorwurfsvoll: „Mama, interessiert dich überhaupt nicht, wie es mir geht?!“ Ich schluckte. Ja, natürlich interessierte es mich, wie es ihr ging. Ich wollte nur nicht bohren und aufdringlich mit Fragen sein. Ich versuchte ihr meine Haltung verständlich zu machen. Es hat eine Weile und viele Worte gebraucht, bis sie überzeugt war, dass mein Verhalten kein Ausdruck von Gleichgültigkeit war, sondern von Rücksichtnahme. Ja, so verschieden können Erwartungen und Bedürfnisse sein.
Vergleichbares habe ich auch mit meiner Jüngsten erlebt. Wir sind uns charakterlich und vom Temperament her sehr ähnlich. Als sie in ihrer Pubertät war, da knallten bei uns schon mal die Türen, und heftige „Wortwechsel“ hallten durchs Haus. Zu der Zeit machte sie ihrer schlechten Laune manchmal Luft und jammerte: „Ich bin voll depri und du tust so, als wär` nichts und hast gute Laune!!“
Würden mich meine Töchter heute um Rat fragen, was ihre zukünftige Rolle als Mutter betrifft, wäre ich etwas ratlos. Ich habe nach meiner langen Ausbildung und kurzen berufl ichen Tätigkeit gerne die Mutterrolle übernommen. Aber ich habe auch mehr und mehr die Berufstätigkeit und die damit verbundene gesellschaftliche und fi nanzielle (Rente!) Anerkennung vermisst.
Ich möchte meine Töchter ermuntern: setzt euch ein für eine Gesellschaft, die es Müttern und Vätern ermöglicht, in ihren selbstgewählten Rollen aufzugehen! Und zwar in möglichst vielfältigen Rollenvarianten, zum Beispiel:
- die Mutter, die Karriere machen möchte, sollte dies ungehindert und vorwurfsfrei tun können und ihre Kinder wohlbehütet betreut wissen
- die Mutter, die zu Hause bleiben möchte, sollte für die häusliche Familienarbeit soziale Anerkennung und Geld bekommen
- die Mutter, die zuverdienen muss (Alleinerziehende), sollte besondere umfassende Unterstützung bekommen
Meine beiden Töchter möchten Kinder bekommen und eine eigene Familie gründen. Aber durch ihre langen Ausbildungszeiten und den Wunsch nach Berufspraxis schiebt sich ihre Mutterrolle biografi sch immer weiter nach hinten. Dieses Dilemma ist allen bewusst, aber welche Lösung könnte es geben?
Für mich ist Mutter sein ein lebenslanger Prozess. Mütter lernen sich zu behaupten, sich abzugrenzen, sich zu verteidigen, Kompromisse zu schließen..... und im besten Fall, sich nicht selbst zu vergessen.
Und mit Glück geht es in die Verlängerung: dann wird die Mutter eine Großmutter.
Jetzt, wo meine Kinder aus dem Haus sind, merke ich erst, wie sehr ich meine Kinder liebe. Gleichzeitig genieße ich meine Freiheit nach langer Erziehungs-, Familien- und Mutterarbeit, und ich freue mich schon auf meine Großmutterrolle.
[ Heidi von Pein ]